Im Kontext Geschlechtsidentität und Zuschreibungen, Klischees und gesellschaftliche Erwartungen an verschiedene Geschlechter, habe ich mir die Frage gestellt, was die Beschreibungen „weiblich“ und „männlich“ meinen können. Ich versuche hier zu beschreiben, warum ich es vermeide, diese Wörter zu nutzen, um Personen zu beschreiben.
„Fürsorglich“ ist keine ausschließlich weibliche Zuschreibung – unabhängig vom Geschlecht können Menschen fürsorglich sein. Von Frauen sollte nicht automatisch angenommen werden, dass sie fürsorglich sind, weil sie Frauen sind. Ebenso sollten Männer nicht in den Himmel gelobt werden, wenn sie es mal sind, nur weil die Gesellschaft diese Zuschreibung nicht für sie vorgesehen hat. Eigenschaften kommen nicht automatisch mit deinem Genital oder deiner sozialen Geschlechtsidentität.
Wenn ich dieses Gedankenspiel ausdehne auf alle stereotypischen Zuschreibungen und gesellschaftlichen Erwartungen an eine „Frau“ oder einen „Mann“, dann wird die Unterscheidung in Geschlechter meiner Meinung nach überflüssig. Das ist aber erstmal eine utopische Vorstellung. In einer Gesellschaft, in der das eine Geschlecht immer noch dem anderen untergestellt ist und non-binäre Geschlechtsidentitäten kaum bis gar nicht mitgedacht werden, müssen wir erstmal dafür kämpfen, dass alle Geschlechter Gleichberechtigung erfahren. Sobald allen Geschlechtern mit dem selben Respekt, mit der selben Bezahlung und mit den selben Chancen begegnet wird, können wir darüber reden, die Kategorie Geschlecht abzuschaffen.
Wenn ich akzeptiere, dass keine Eigenschaften, keine beruflichen, keine lebensweltlichen Vorstellungen, Ideen von Liebe, von Sex, keine Äußerlichkeiten und nicht mal Genitalien - also eigentlich nichts – einer Geschlechtskategorie zuzuschreiben ist, dann macht für mich diese Kategorie nämlich keinen Sinn mehr. Denn dass nicht nur Frauen menstruieren, sondern auch Männer und Non-Binary, und übrigens gar nicht alle Frauen menstruieren, das ist gegebene Tatsache. Menschen haben Genitalien, haben Kleidungsstile, präsentieren sich, haben Stimmlagen, Körpergrößen und -formen, besitzen Eigenschaften, Hobbys, Arbeitsplätze, Titel, Kinder oder keine Kinder (…) ganz unabhängig von ihrem biologischen oder sozialen Geschlecht.
Bisher war die Gesellschaft der Annahme, dass eine Frau Vulva und Vagina und „weibliche“ Brüste hat, sich im Haushalt betätigt, sorgsam und fürsorglich ist. Ein Mann hingegen hat einen Penis, eine „männliche“ Brust, ist stark, mutig, versorgt seine Familie. Hier findet langsam ein Wandel statt. In den Köpfen vieler Menschen existiert dieses Klischee, diese Idee eines Lebens nicht mehr. Die Umsetzung eines so stark verinnerlichten (da über Jahrhunderte vorgelebten) Geschlechterbildes gestaltet sich dagegen schwerer. Die Strukturen für so einen Wandel sind noch nicht gegeben. Die Gesellschaft hat sich noch nicht weit genug gewandelt, um den Grundbaustein für eine so enorme Veränderung zu schaffen. Unser kapitalistisches Verständnis von Arbeit, Produktivität und von dem was wertvoll und respektiert ist, erschwert es, aus diesen patriarchalen Strukturen auszubrechen.
Weiblich und männlich sind als Grundgedanken vielleicht gar keine zu verwerfenden Zuschreibungen. Aber sie sind ungesund und super realitätsfern, wenn wir davon ausgehen, dass weibliche Eigenschaften zu „Frauen“ gehören und männliche Eigenschaften zu „Männern“. Die Frage ist sowieso, was dann mit Menschen ist, die sich ganz woanders im Geschlechtsspektrum verorten.
Immerhin werden Männer als „Pussy“ (damit ist das Genital einer biologischen Frau gemeint – was daran ist schwach?! Das Ding gebärt einen Menschen!!!) bezeichnet, wenn sie „zu emotional“ oder „zu schwach“ für die Gesellschaft sind und Frauen werden als „spröde“ bezeichnet, wenn sie ihren Körper bedecken (andersrum werden Frauen natürlich wieder zu „Schlampen“, wenn sie sich „zu aufreizend“ kleiden). Hier zeigt sich auch wieder, dass die „Frau“ das Geschlecht ist, das wesentlich schlechter da steht, als der Mann. Wenn man einen Mann degradiert, bezeichnet man ihn als Frau. In die andere Richtung funktioniert das eher weniger. Wenn ich eine Frau als zu männlich bezeichne, dann ist das Schlechte daran keineswegs das „männlich“, sondern, dass die Frau nicht weiblich genug ist, dass sie denkt, sie wäre etwas besseres – nämlich ein Mann. Frauen werden auch nicht direkt beleidigt, sondern was auch immer der Gesellschaft an ihr nicht passt, wird darauf geschoben, dass sie eben eine Frau ist – also emotional, hysterisch, sie will sich überall ein mischen. Es wird also über die Frau hinweg gesprochen.
Ich habe deshalb Schwierigkeiten mit den Begriffen „weiblich“ und „männlich“. In unserer patriarchalen Gesellschaft schaffe ich es nicht, diese Wörter zu verwenden, ohne im Hintergrund Diskriminierung aufgrund des Patriarchates reflektieren zu wollen. Ich glaube es ist in unserer Gesellschaft (noch) nicht möglich männlich und weiblich unabhängig von Genitalien und sozialen Rollen als Zuschreibung zu nutzen. Wenn wir z.B. von männlicher und weiblicher Kleidungsweise, Stimmlage, von typisch männlich oder weiblichen Sportarten (…) sprechen, dann macht das denke ich nur Sinn, wenn wir das von Geschlechterrollen entkoppeln. Wenn wir also akzeptieren, dass egal welches Geschlecht eine Person hat, weibliche und männliche Energie in einer Person existiert.
In dieser Gesellschaft wurden und werden Eigenschaften so sehr auf bestimmte Geschlechter projiziert, Eigenschaften als schwach oder stark bezeichnet, nur weil sie mit bestimmten Geschlechterbildern gekoppelt sind. Männlich gehört immer noch zum Mann und weiblich zur Frau. Wenn eine Person sich nicht dem einen oder anderen zuordnen lässt, herrscht Verwirrung - eine laute, Ton angebende Frau wird skeptisch angeschaut, ebenso ein emotionaler Mann. Eine Frau mit Bart und einen Mann in Kleid und High-Heels starrt man entweder unglaubwürdig und amüsiert an oder schaut unangenehm weg. So wie es mir die Gesellschaft vorlebt, habe ich gelernt, dass sich weiblich und männlich nicht in einer Person oder Sache zu mischen hat bzw. abnormal ist. Das macht es mir so schwer, diese Wörter in einem Kontext zu nutzen, in dem mir Geschlecht überflüssig erscheint.
Dass das alles nicht so einfach getan ist, ist klar. Um eine Egalität der Geschlechter einzuführen, braucht es in erster Linie Gleichberechtigung. Genauso wenig wie zu sagen, dass Hautfarbe keine Rolle spielt, macht es auch in der heutigen Gesellschaft keinen Sinn zu sagen, dass Geschlecht egal ist. Tatsache ist, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechtes und den zugehörigen Zuschreibungen unterschieden werden. Sie werden anders bezahlt, ihnen werden unterschiedliche Dinge zugetraut, die sozialen Erwartungen unterscheiden sich und die Lebensentwürfe sehen von Grund auf anders aus. Ich träume dennoch von dieser Utopie und tue mein Bestes, um für Geschlechtergerechtigkeit einzustehen, zu sensibilisieren und zu empowern.
Das sind meine ersten Gedanken zum Frauen*kreis Thema im März:
Wir treffen uns am 12. März, 11Uhr via Zoom und fragen uns, warum wir uns als Frau bezeichnen und hinterfragen unser soziales Geschlecht: Was bleibt von unserer Geschlechtsidentität übrig, wenn wir alle Vorurteile, Stereotypen und gesellschaftlichen Erwartungen abstreifen? Was ist eine "Frau"? Ist eine Einordnung in die Kategorie "Geschlecht" überflüssig?
Ich bin gespannt was ihr denkt, warum ihr euch als "Frau" identifiziert oder eben nicht.
Wenn du dabei sein möchtest, schreib mir einfach eine kurze Mail an soulutions.jb@gmail.com
Ich freue mich!
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