English version below Darüber ein Kind geschlechtsneutral zu erziehen, haben sich wahrscheinlich die wenigsten Eltern vor der Geburt Gedanken gemacht. Dabei ist klar, dass ein Mädchen oder einen Jungen zu bekommen, mit ganz unterschiedlichen Assoziationen verbunden ist. Dass diese Zuschreibungen aber nicht der Realität entsprechen und dass sie auf sozialen Konstrukten basieren, sollte schon nach einer kurzen Reflektion klar sein.
Warum pressen wir unsere ungeborenen Kinder dann in Rollenbilder, bevor sie selbst die Chance haben, herauszufinden wer sie sind?
Themen, die mich in letzter Zeit sehr beschäftigen, sind der Einfluss von Sichtbarkeit verschiedener Geschlechterrollen und Sexualitäten in der Erziehung von Kindern.
Die letzten fünf Wochen habe ich verschiedene Kinderfreizeiten betreut und nahezu jeden Tag sind mir Situationen aufgefallen, in denen es sich um Geschlechterrollen oder Sexualität handelte. Ich finde es sehr interessant und noch viel erschreckender wie unterschiedlich Kinder erzogen werden, einzig und allein auf der Grundlage deren biologischen Geschlechtes.
Nur weil bei meiner Geburt ein biologisch weibliches Geschlecht festgestellt wurde, kann man nicht darauf schließen, dass ich 10 Jahre später rosa mag, Jungs doof finde und mit meinen Freundinnen einmal wöchentlich ins Tanzen gehe. Das liegt einzig und allein daran, wie ich erzogen wurde und wie mein Umfeld mit mir umgeht.
Ich denke niemandem von uns wurde als weibliches Kind aktiv eingetrichtert, dass man ab seinem 9. Lebensjahr verdammt nochmal Jungs doof zu finden hat und sie ab dem 13.Lebensjahr dann auf einmal ganz ganz toll finden soll. Aber unterschwellige Kommentare fielen sicher zu Hauf und sicher hat auch die eine oder andere das hier lesende Person schonmal ein solches Kommentar abgelassen:
"Naa, und hast du auch schon einen Freund"
"Jaa, bald wirst du Jungs ganz doof finden"
*Junge ärgert Mädchen* "Was sich liebt, das neckt sich"
"Ja warte mal noch ein paar Jahre, dann wirst du Jungs ganz toll finden!"
*Mädchen unternimmt etwas mit einem Jungen* "Naa, wie wars mit xy? Mögt ihr euch etwaaa? Den werden wir ja dann jetzt öfter sehen!" *breites Grinsen*
Solche Kommentare sind in keinster Weise angebracht und führen in allen Fällen (meine Erfahrung!) dazu, dass die jüngere Person sprachlos ist und sich unglaublich klein fühlt, weil über sie, statt mit ihr gesprochen wird.
Warum können wir solche Kommentare und Fragen nicht einfach umwandeln in Gespräche mit unseren Kindern (und auch erwachsenen Mitmenschen!) darüber wie es ihnen geht, wie sie sich in bestimmten Situationen fühlen und was sie gerade beschäftigt. Ein offenes Ohr und die Möglichkeit um Rat fragen zu können ohne ungefragte Kommentare an den Kopf geworfen zu bekommen, ist zumindest ein Umfeld, das ich mir wünsche.
Und auch heute als erwachsene Frau fühle ich mich oft klein und unverstanden im Gespräch mit älteren Menschen. Ich habe das Gefühl statt tatsächlich über Gefühle und Befinden zu sprechen, werden Situationen mit unangebrachten Redewendungen unter den Teppich gekehrt und für unwichtig befunden.
So geht es mir natürlich nicht ausschließlich mit älteren Menschen - auch jüngere Leute nutzen nicht immer die Kommunikation, die ich brauche und schätze. Aber ich nehme den Effekt viel deutlicher bei älteren Menschen wahr. Vor ihnen habe ich mehr Respekt, schätze die Erfahrungen und die Weisheit und habe die Erwartung, verstanden und unterstützt zu werden - und bin vielleicht wegen meiner hohen Erwartungen dann umso perplexer und weis nicht wie ich reagieren soll, wenn ich mir unsensibel begegnet fühle.
Nicht immer fühle ich mich stark genug, den Mund aufzumachen und zu verdeutlichen wie unwohl ich mich gerade in diesem Gespräch fühle.
Zurück zu den Kindern... mir fiel in diesen fünf Wochen sehr oft auf, dass auch die Kinder selbst Aussagen über das andere Geschlecht treffen.
"Mädchen können aber besser basteln, das ist unfair!"
"Die Mädchen sind schon wieder nur am reden."
"Die Jungs machen die ganze Zeit nur Quatsch!"
Im Endeffekt sind es wahre Aussagen - sie beruhen eben alle darauf, wie wir erzogen wurden - nämlich auf Grundlage unseres Geschlechts. Mädchen sind kreativ, konzentriert, verspielt, anhänglich und Jungs sind wild, dreckig, laut.
Und das alles fängt schon bei der Bekanntgabe des Geschlechts des Kindes an. Wie stelle ich mir mein Kind vor, wie ein kleines Mädchen, wie einen kleinen Jungen. Welche Kleidung kaufe ich meinem Kind, welche Spielsachen wähle ich aus, welche Spielsachen verwehre ich ihm bewusst, zu welchen Aktivitäten bringe ich mein Kind, wie spreche ich mit meinem Kind über Freund*innenschaften, wie spreche ich über Frauen, wie über Männer, wie und ob überhaupt über Non-Binäre Personen. Erziehe ich mein Kind heteronormativ, oder spreche ich mit meinem Kind über verschiedenste Sexualitäten und normalisiere zum Beispiel gleichgeschlechtliche Beziehungskonstellationen.
All das und noch so viel mehr hat einen so großen Einfluss darauf, was unsere Kinder von der Welt denken, in der sie aufwachsen. Es beeinflusst wie sie sich selbst darin bewegen und wie sie mit anderen sprechen und umgehen.
Ich habe mir in diesen fünf Wochen viele Gedanken gemacht und versucht mein Verhalten gegenüber den Kindern zu verändern. Ich will versuchen, die Kinder geschlechtsneutral anzusprechen. Ich will die Eigenschaften und Fähigkeiten fördern, die sie haben und die Eigenschaften und Fähigkeiten mit ihnen erkunden, von denen sie nicht wissen, dass sie sie haben. Und ich will mit ihnen offen über Sexualität sprechen, will dass sie aus ihren Denkmustern ausbrechen und verstehen, dass außerhalb der hetero-cis Normativität so, so viel Vielfalt ist, die erkundet und gelebt werden kann.
Ich bin super froh darüber, in diesen drei Freizeiten auch so ein diverses Team gehabt zu haben. Und es macht mir unglaublich viel Spaß, zu sehen wie die Kinder reagieren und wieviel Interesse sie zeigen.
*Teamer spielt mit Kindern ein Seilspringspiel ("Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, wie viel Kinder wirst du kriegen? 1,2,3,4...", Teamer scheidet bei "geschieden" aus und gilt somit als "verheiratet"*
Kind: "Du bist verheiratet! Und wer ist deine Frau?"
Teamer *zeigt seinen Ehering* "Es ist ´n Mann!" Kind fragt Teamerin, ob sie einen Freund hat, Teamerin verneint, Kind fragt, ob Teamerin gerne einen Freund hätte, Teamerin: "Nein, aber ich hätte gerne eine Freundin." *ein paar Minuten später* Kind, kommt wieder zur Teamerin und fragt "warum hättest du gern lieber eine Freundin als einen Freund?"
Teamerinnen und weibliche Kinder sitzen am Teich, männlich gelesener Teamer kommt dazu.
Kind "Hier sind nur Mädchen, du darfst hier nicht sein, Jungs sind hier verboten!"
Männlich gelesener Teamer "Vielleicht bin ich ja gar kein Junge."
Solche Situationen haben mir in diesen fünf Wochen immer ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Den Kindern aufzuzeigen, dass die Welt unglaublich bunt ist und dass da so viel mehr ist und sein kann, macht mir unglaublich viel Spaß. Ich finde es toll, daran beteiligt zu sein, ihren Horizont zu erweitern und vorzuleben, dass es eine riesige Bereicherung ist, sich von Klischees und Rollenbildern zu lösen und stattdessen der Welt offen und liebevoll zu begegnen.
Raising a child in a gender-neutral way is probably something that very few parents thought about before their kids were born. It is clear that having a girl or a boy has very different associations and thoughts about the child. However, after a brief reflection, it should be clear that these ascriptions do not correspond to reality and that they are based on social constructs of gender.
Why do we then press our unborn children into these stereotyped role models before they have the chance to find out who they are for themselves? Topics that have been on my mind lately, are the influence of the visibility of different gender roles and sexualities in the upbringing of children.
For the last five weeks I have been supervising children at various vacation camps and almost every day I have noticed situations involving gender roles or sexuality. I find it very interesting and even more frightening how different children are raised, the only reason being their biological gender.
Just because a biologically female sex was determined when I was born, doesn't mean that 10 years later I like the color pink, think boys are stupid and go dancing with my girlfriends once a week. That is solely because of how I was brought up and how people around me treated and what image of myself they reproduced.
I don't think any of us were actively taught that as a female child from the age of 9 you have to find boys stupid and from the age of 13 you should suddenly find them really interesting. But subliminal words were certainly spoken and certainly one or the other person reading this, has already made such a comment:
"Soo, do you already have a boyfriend"
"Yeah, soon you will find boys very stupid"
"Yes, wait a few more years, then you will find boys really interesting!"
* Girl hangs out with a boy * "Well, how was it with xy? Do you like each other ? I guess we'll see him more often from now on"
Such comments are always inappropriate and in all cases (my experience!) result in the younger person being speechless and feeling incredibly small, because they are being talked about instead talked to or with. Why can't we simply convert such comments and questions into conversations with our children (same thing with adults please!) about how they are, how they feel in certain situations and what is bothering them at the moment. An open ear and the opportunity to ask for advice without receiving unsolicited comments is at least an environment that I wish for.
And even today as a grown woman, I often feel small and misunderstood when talking to older people. Instead of actually talking about feelings and my well-being, I feel like feelings are often swept under the carpet with inappropriate idioms and are seen as unimportant. Of course, I do not only deal with older people - younger people also do not always use the communication that I need and appreciate. But I notice the effect much more clearly in the communication with older people. I have more respect for them, value their experiences and wisdom and expect to be understood and supported - and maybe because of my high expectations I am all the more shocked and don't know how to react when I feel like they dont bother.
I don't always feel strong enough say something and make sure they understand how uncomfortable I feel in a conversation.
Back to the children ... I noticed very often during these five weeks that the children themselves also make statements about the opposite sex.
"But girls are better at painting, that's unfair!"
"The girls are talking again."
"The boys just do nonsense all the time!"
In the end, they are true statements - they are all based on how we were raised - based on our sex. Girls are creative, focused, playful, affectionate and boys are wild, dirty, loud. And it all starts with the announcement of the child's sex. How do I imagine my child, how do i imagine a little girl, how a little boy. What clothes do I buy for my child, what toys do I choose, what toys do I (un)consciously refuse to my child, what activities am i introducing to my child, how do I talk to my child about friendships, how do I talk about women, how about men, how and if at all about non-binary people. Do I raise my child heteronormatively, or do I talk to my child about various sexualities and normalize, for example, same-sex relationships.
All of this and so much more has such a big impact on what our children think of the world in which they grow up. It influences how they move around in it and how they speak and interact with others.
During these five weeks I reflected a lot and tried to change my behavior towards the children. I want to try to address the children in a gender-neutral way. I want to promote the qualities and abilities they have and explore the qualities and abilities that they do not know they have yet. And I want to talk to them openly about sexuality, want them to break out of their thought patterns and understand that outside of the hetero-cis normativity there is so, so much diversity that can be explored and lived.
I'm also very happy to have had such a diverse team during these three camps. And I really enjoy seeing how the children react and how much interest they show.
* Teamer plays a jump rope game with children ("verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, wieviele Kinder wirst du kriegen? 1,2,3,4 ...", Teamer leaves when "geschieden" and is therefore considered "verheiratet" (married)
* Child: "You are married! And who is your wife?" Teamer * shows his wedding ring * "It's a guy!"
Child asks team leader if she has a boyfriend, team leader says no, child asks if the team leader would like to have a boyfriend, team leader: "No, but I would like to have a girlfriend." * a few minutes later * child, comes back to the team leader and asks "why would you rather have a girlfriend than a boyfriend?"
Female team leaders and female children sit by the pond, male team leader join them.
Child: "There are only girls allowed here, boys are not allowed here!" Male-read teamer "I never said i was a boy."
Such situations have always put a smile on my face during these five weeks. Showing the children that the world is incredibly colorful and that there is and can be so much more is so much fun. I think it's great to be involved in broadening their horizons and setting an example that it is a huge enrichment to break away from clichés and stereotypes and instead going open and loving into the world.
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